Gewässerkunde

Für mich hat so ein Kraftwerk etwas von einem lebenden Organismus. Es frisst, es säuft, es sch…, also es hinterlässt Abfälle. Dabei brummt es freundlich und vibriert sachte, kann aber auch vor Schmerz oder Empörung schreien, brüllen und sich schütteln.

Wenn man diesen Organismus nun etwas näher kennenlernen will, dann muss man auch ein wenig über seine Blutkreisläufe Bescheid wissen. Das mag im Normalfall nicht so spannend sein, aber wehe es gibt eine Blutvergiftung, oder gar eine offene Wunde. Sollte der Blutfluss mal ganz aussetzen, dann haucht der ganze Organismus sogar sehr schnell sein Leben aus.

So ist es auch in Kraftwerksblöcken, nur heißt unser Blut hier schlicht Wasser, und wir können den Organismus immer wieder zum Leben erwecken.

Wenn wir in (Dampf-)Kraftwerken etwas zur Genüge haben, dann sind es Wasserarten. Wasser hat die verschiedensten Aufgaben zu erfüllen. Es kühlt oder erwärmt, es transportiert und schmiert, es dichtet ab oder treibt an … es ist einfach universell im Einsatz. Aber die wichtigsten Wasseradern sollen hier mal beleuchtet werden.

Die beiden wichtigsten „Gewässer“ und die Wege die sie im Kraftwerk gehen, werde ich versuchen zu erklären, zumal diese in den Medien auch gern mal durcheinander gebracht werden.

Das wichtigste an einem Wasser-Dampf-Kreislauf ist … dass da auch was im Kreis umherläuft. So ein Kreislauf hat also keinen Anfang und kein Ende, und so beginne ich mal mit der „Herstellung“ des wichtigsten Wassers, welches wir in unseren Prozess einspeisen wollen (irgendwann heißt es später sogar „Speisewasser“, aber bis dahin ist es noch ein Stück).

Wir beginnen mit irgendeinem Wasser, welches wir in großen Mengen von irgendwo her beziehen können. Brunnenwasser, Flußwasser - ganz egal – aber je sauberer und klarer es von vornherein ist, desto weniger Aufwand müssen wir damit betreiben um es auch nutzbar zu machen. Denn, wir brauchen nicht nur sauberes, sondern wirklich reines Wasser. Das heißt, dass wir alle im Wasser gelösten Gase, Salze, Spurenelemente und Härtebildner, sowie die fiese Kieselsäure aus unserem Wasser herausholen müssen.

Das geht nun nicht mehr mit irgendwelchen Sieben oder Filtern, sondern zum Beispiel mit Ionenaustauschern. Da werden dann Behälter mit Kunstharzkügelchen befüllt, und diese Kügelchen jeweils mit positiv geladenen Wasserstoffionen (H+) oder negativ geladenen Hydroxidionen (OH-) aufgeladen. Wenn unser nun schon sehr sauberes Wasser diese Austauscherschichten durchströmt, erfolgt ein Ionenaustausch.

Ein Beispiel: Ein im Wasser gelöstes Kochsalzmolekül (Natriumchlorid, NaCl) gibt im Ionenaustauscher sein Chlor-Ion ab und erhält dafür ein OH(-)-Ion (Ergebnis: NaOH). Im nächsten Schritt bleibt auch das Natrium-Ion kleben, und dafür gibt es ein H(+)- Ion vom Austauscher zurück.

Es bleibt übrig: H2O, also reines Wasser! Und so geht es auch allen anderen unerwünschten Wasserinhaltsstoffen, sie werden einfach gegen H2O ausgetauscht.

Das ist nötig, weil in jedem Teil des nun zu absolvierenden Wasser-Dampf-Kreislaufs irgendwelche Fremdstoffe haften bleiben könnten. Das ist dann wie in der Werbung, wenn irgendwann der Waschmaschinenmonteur anrücken muss, weil "der Heizstab nun kaputt ist". Und sorry, den Dieter Bürgi wollen wir uns doch ersparen.

So, jetzt speisen wir unser gewonnenes Reinstwasser, "Deionat" genannt, in den Kreislauf ein. Und das an dessen kältester Stelle, dem sogenannten Hotwell (klingt komisch, ist aber so). Dieser ist eigentlich nur eine große Auffangwanne am tiefsten Punkt des Maschinenkondensators, welchem wir erst am Ende unseres Kreislaufs wieder begegnen werden. Genauso, wie dem dort anfallenden "Maschinenkondensat" dem unser Deionat nun aber zudosiert wird, sollte das nötig sein um eventuelle Dampfverluste auszugleichen

Ab da übernehmen die "Kondensatpumpen" den Weitertransport des Wassers. Wichtig ist hier am Anfang, dass unsere "kalte Wassersammelstelle", der Hotwell, in einem Unterdruckbereich liegt. Unser Wasser unterliegt hier einem Vakuum, was es etwas empfindlich gegen die Ansaugung durch Pumpen macht.

Wasser hat bei geringerem Druck auch eine niedrigere Siedetemperatur, das heißt, dass unser vielleicht 30°C warmes Wasser eigentlich kurz vorm Verdampfen ist, und im Pumpensaugstutzen Dampfblasen bilden kann. Ein Problem (Dampf kann man nicht pumpen!), aber technisch lösbar.

Nach den Kondensatpumpen haben wir jetzt z.B. einen Druck von 30 bar (das ist so etwa das Dreifache vom dem, womit Feuerwehrschläuche beschickt werden).

Unser nun auf Förderdruck gebrachtes Wasser durchläuft jetzt die sogenannte „NDV-Säule“. NDV steht für „Niederdruckvorwärmer“ und gemeint sind damit alle Bauteile in denen die Temperatur unseres Kondensats schrittweise erhöht wird, bis es sich dann langsam wieder einen anderen Namen verdient hat.

Realisiert wird diese Erwärmung mittels Durchströmung von Rohrbündeln in sogenannten Wärmetauschern. Das Prinzip dabei ist, dass die kondensatdurchströmten Rohre an ihrer Außenseite von einem Medium (Wasser oder Dampf) mit etwas höherer Temperatur umspült werden, und so die Wärme an das innen fließende Kondensat abgegeben wird. Dazu nimmt man in der Hauptsache abgezapften Dampf aus der Turbine, aber auch Wasser, das von heißem Rauchgas erwärmt wurde, oder auch anfallende NDV-Kondensate von Wärmetauschern, die schon in höheren Temperaturbereichen arbeiten.

Das ganze ist ein ziemlich verschachteltes System, weil man immer versucht jeden anfallenden Wärmeüberschuss an der einer Stelle dieses Systems auf eine andere zu übertragen, welche gerade noch ein bissl kälter ist. Alles soweit wie möglich auszunutzen heißt wieder einmal, die Verluste zu minimieren.

Okay, wir haben nach der NDV-Säule nun eine neue „Wasserqualität“ erreicht. Unser Kondensat hat jetzt vielleicht nur noch ca 10 bar Druck (Druckverluste!), aber schon eine Temperatur von 200°C (alles nur Beispielwerte!). Es landet im größten Pufferbehälter unseres Kreislaufs und darf sich ab jetzt Speisewasser nennen.

Aus dem Speisewasserbehälter zieht nun die Speisewasserpumpe das Wasser ab und befördert es in Richtung Kessel. War bisher noch alles Kinderkram wird es ab hier gefährlich. Hinter der Speisewasserpumpe herrscht jetzt ein Druck von z.B. 300 bar, mit dem als nächstes die HDV-Säule durchströmt wird. Das sind auch nur ein paar Wärmetauscher, diese werden aber mit wesentlich heißerem Dampf beschickt.

Da zu der hohen Dampftemperatur auch ein höherer Druck gehört, müssen diese HDVs mit Schnellschluss- und Umschaltventilen besonders abgesichert werden. Ein Rohrschaden hier könnte, wenn er große Mengen des unter Hochdruck stehenden Speisewassers in den Mantelraum des HDV gelangen ließe, das ganze Ding wie eine Bombe sprengen.

Nach der HDV-Säule herrscht jetzt z.B. eine Temperatur von 370°C in unserem Wasser, und es kann jetzt endlich den Dampfkessel speisen. Streng genommen ist es ab Eintritt in den Kessel sogenanntes „Kesselinhaltswasser“.
 
Nun erfolgt der größte Energieeintrag in unserem ganzen Wasser-Dampf-Kreislauf, es geht an den Verdampfungsvorgang. Dabei gibt es unterschiedliche Konzepte, die ich mal an anderer Stelle erläutern werde, aber auf irgendeine Weise stellen wir jetzt endlich Dampf her.

Der Dampf wird im Kessel jetzt noch überhitzt, also auf z.B. 540 °C gebracht und verlässt den Dampferzeuger danach in Richtung Turbine. Dort wird der Dampf „abgearbeitet“, das heißt, er gibt jetzt seine ganze im Prozess erhaltene Energie an die Turbinenschaufeln ab und bewegt dadurch den Turbinenläufer.

Am „kalten Ende“ der Turbine wird der nun völlig kraftlose Dampf im Maschinenkondensator wieder zu Wasser kondensiert. Er wird wieder zu Kondensat, und die extreme Volumenverringerung von der Dampf- zur Flüssigphase bewirkt dabei die Entstehung des Unterdrucks, der anfangs vor unseren Kondensatpumpen herrschte.

So, das war das erste wichtige Wasser, im Allgemeinen unter dem Sammelbegriff Speisewasser zusammengefasst.



Die zweite, auch sehr wichtige Wasserart ist das Hauptkühlwasser. Dieses hat die Aufgabe unserem abgearbeiteten Dampf die noch darin enthaltene „Verdampfungswärme“ zu entziehen. Das geschieht in unserem schon bekannten Maschinenkondensator, der auch nur wieder ein sehr großer Wärmetauscher ist.

Hier erfolgt der Tausch aber sozusagen anders herum. Wir kühlen den Dampf ab, um ihn wieder in pumpbares Wasser zu verwandeln. Es geht nicht darum das Kühlwasser aufzuheizen! Ganz im Gegenteil, wir versuchen alles, um so wenig Wärme wie möglich aus dem Kondensat zu ziehen, denn das müssen wir alles später ja wieder reinstecken.

Aber ein wenig Temperatur geht an dieser Stelle leider zwangsläufig auf das Kühlwasser über. Wir erhöhen hier z.B. die Kühlwassertemperatur von 22 auf 30 °C. Das klingt erstmal nicht nach viel, ist aber für den Hauptteil unserer Prozessverluste verantwortlich.
Wenn in irgendwelchen Medien, die nicht so schlau sind wie die „Sendung mit der Maus“ davon die Rede ist, dass irgendwelche Kraftwerke nur einen Wirkungsgrad von 30, oder 40 % haben, dann liegt das genau an diesen, leider nicht vermeidbaren Verlusten. Dazu aber später mal mehr.

So, unser Hauptkühlwasser ist nun ein paar Grad wärmer geworden, und diese paar Grad müssen wir wieder loswerden, denn wir wollen ja wieder frisches 22°C-Wasser für die Kondensatorkühlung haben.

Das prominenteste Beispiel für die technische Lösung dieser Rückkühlproblematik sind natürlich Kühltürme. Darin wird eigentlich einfach nur das warme Kühlwasser fein versprüht, und der von unten kommende natürliche Luftzug (durch die bauartbedingte Kaminwirkung) kühlt die kleinen Tröpfchen ab, wobei ein wenig davon sich in Wrasen auflöst und oben die Kühlturmfahne bildet.

Man kann das Kühlwasser aber auch mit Ventilatoren kühlen, oder gleich den Kühlturm einsparen und sich wieder Frischwasser aus einem Fluss ziehen, während man das aufgewärmte Wasser in den Fluss zurückleitet. Sowas nennt man dann Durchlaufkühlung.
Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, lediglich die natürlichen Gegebenheiten, die behördlichen Auflagen und die Frage nach der Vertretbarkeit von Verlusten schränken uns hier ein.

Soviel erstmal zu den zwei „Blutkreisläufen“ im Kraftwerk, aber es geht natürlich weiter mit dieser Serie.