Wirkungsgrad, KWK und co

Die Geschichte des Wirkungsgrades ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Ha, diesen Satz wollte ich schon immer mal bringen. ;-)

Es gibt ja dauernd irgendwelche Zahlen, die bezüglich Kraftwerkswirkungsgraden durch die Medien geistern, und da sollte man mal ein bisschen aufräumen, finde ich. Als Aufhänger nehme ich dazu mal diesen Bericht über ein neues Kraftwerk bei BASF, den Lyllith hier gepostet hat.

Wir lesen hier davon, dass man ein GuD-Kraftwerk (Gas- und Dampf) eingeweiht hat, welches einen bisher unerreichten Nutzungsgrad von 90 Prozent erreichen soll. Dazu installierte man zwei Gasturbinen (GT) und einen Abhitzekessel, kombinierte das noch mit einer Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und voila ... wir haben einen Sieger.

Echt jetzt? Die ollen Kernkraftwerke sollen doch irgendwo bei 30 % rumdümpeln, und Kohlekraftwerke werden so bei 35 - 45 % verortet. Warum nutzt diese verblödete Energiemafia nicht die Supertechnik von BASF?

Gemach, gemach. Zuerst mal - und das ist schon entscheidend - bezeichnen dieses Werte nicht dasselbe. Der eigentliche Wirkungsgrad, so wie er bei Kondensationskraftwerken angegeben wird, ist bei KWK-Anlagen sogar geringer.
Wie jetzt? Tja, bei KWK-Anlagen wird eben der Brennstoffnutzungsgrad angegeben, und nicht der Wirkungsgrad. Warum? Keine Ahnung. Hat wahrscheinlich was mit der geschichtlichen Entwicklung zu tun. KWK-Anlagen sehen so halt hübscher aus, wenn man sie installieren möchte.

Jetzt aber die Gegenprobe. Wenn KWK's gegenüber Kond.-Kraftwerken im Gesamtwirkungsgrad schlechter abschneiden, wo liegen dann die großen Kondis bei der Brennstoffausnutzung?

Da sind sie schlechter. Hm. Was ist denn nun aber gesamt gesehen besser? KWK. Ähm, also ist die Energiemafia doch verblödet, oder lässt billigste Klappermühlen laufen? Nö, ganz im Gegenteil.

Verdammte Verwirrung.

Okay, lösen wir es mal ganz langsam auf. Bevor ich zum Wirkungsgrad komme, nehmen wir uns mal das Thema KWK vor. Immerhin wird diese Technik von der Bundesregierung als förderungswürdig angesehen, also scheint sie gut zu sein, wird aber wohl zu wenig genutzt.

Das liegt schlicht nicht an den Versorgern, sondern an den Abnehmern. Wer kann, und wo es sich anbietet, wird immer zusehen dass er irgendwo noch Prozesswärme auskoppeln kann, denn diese so tolle Wärme, die sich im Brennstoffausnutzungsgrad niederschlägt, ist sozusagen ein billiges Nebenprodukt. Und wenn man ein Nebenprodukt auch noch verkaufen kann, dann ist es doch klasse, oder?

Japp, so isses. Bloß, wer soll die Wärme denn abnehmen? Wir benötigen also Verbraucher. Und, wir suchen Verbraucher, die mit Wärme auch im Sommer was anfangen können, oder wenn der Winter mal frühlingshaft daherkommt. Ohne Wärmeauskopplung keine Stromerzeugung.

Warum? Kann man nicht mal so, und mal so? Leider nicht so einfach, denn die Anlage wird für ihren Einsatzzweck konzipiert, und soll da möglichst die besten Ergebnisse erzielen. Eine Eierlegende Wollmilchsau gibt es in der Turbinentechnik halt nicht. Ein Kompromiss würde beide Arbeitsaufgaben schlecht erledigen, und um beide Betriebszwecke optimal erfüllen zu können bräuchte es zwei unterschiedliche Aggregate mit ihrem eigenen speziellen Drumherum.

Okay, also wie funktioniert sie nun, diese KWK?

Der Dampferzeuger arbeitet idealerweise im optimalen Bereich und liefert die volle Packung Dampf an die Turbine. Dort durchläuft er die ersten Turbinenstufen und trägt so schon mal einen Großteil zur (elektrischen) Gesamtleistung bei. Nach kurzer Zeit hat der Dampf aber schon einiges an Energie an die Turbine übertragen, sein Druck sinkt, und damit expandiert er. Das heißt, sein Volumen vergrößert sich.
Jetzt könnte man dieses immer größer werdende Dampfvolumen komplett durch die gesamte Turbine jagen. Dafür braucht man aber auch einen immer größeren Durchflussquerschnitt, und immer längere Turbinen-Laufschaufeln. Die Schaufelspitzen liegen also immer weiter vom Zentrum der Turbinenwelle weg und ihre Kreisgeschwindigkeit steigt extrem an (damit auch die Materialbelastung durch Zugspannung).

Man kann jetzt aber auch ein gewisses Dampfvolumen abzweigen (der Dampf hat da ja schon Arbeit geleistet) und damit die Turbine schlank halten. Die Dampfmenge an dieser Entnahmestelle muss da dann allerdings möglichst immer weggenommen werden, denn ohne diese Entnahmemenge könnte man ganz am Anfang ja nicht mit voller Leistung die Turbine beschicken.

Ganz am Ende der Turbine steht nun in einem Kond.-Kraftwerk der Maschinenkondensator, der den letzten Restdampf kondensiert und damit für ein Vakuum sorgt, welches das Enthalpiegefälle (den Potentialunterschied im abarbeitbaren Energieniveau) wesentlich vergrößert. Schön für den Wirkungsgrad, aber schlecht wegen der Kondensationsverluste. An dieser Stelle wird dem Dampf ja seine zugeführte Verdampfungswärme wieder entzogen und unnutzbar abgeführt.

KWK arbeitet nun aber idealerweise mit Entnahme-Gegendruck-Turbinen. Da steht am Ende der Turbine kein Kondensator, sondern der Abgang in ein Dampfnetz. Wir haben also mindestens zwei Abnahmestellen für eine Wärmeauskopplung, die aber immer mit Dampf beschickt werden müssen.
Auf keinen Fall darf eine Schaufelstufe ohne Dampfzufuhr rotieren, da sie sonst "heißventilieren" würde. Der Dampf hat hier also auch eine Kühlfunktion.

Das heißt jetzt also, dass der Dampffluss Priorität hat, und die Stromerzeugung als Nebengeschäft anfällt. Die Turbine ist also mehr oder weniger eine Dampfdruck-Reduzierstation mit angeschlossenem Generator. Sie wird "dampfgeführt" gefahren, und regelt den Druck im Dampfnetz.

Große Kond.-Kraftwerke fahren im Gegensatz dazu "stromgeführt", weil sie dort ihre Priorität haben. Da ist die Wärmeauskopplung ein angenehmes Nebenprodukt, aber das Hauptaugenmerk liegt in der geregelten Aufrechterhaltung der Netzstabilität. Irgendwer muss das ja auch machen. es können ja nicht alle "nur nebenbei" Strom erzeugen.


So, aber nun zum anfänglich angesprochenen Wirkungsgrad. Dieser ist eigentlich nur gleich Nutzen, geteilt durch Aufwand. Je mehr Nutzen bei weniger Aufwand vorliegt, desto mehr nähert man sich der Zahl Eins, oder halt 100 %.
Die 100 % sind nicht erreichbar, sonst hätte man ein Perpetuum Mobile, also liegt der Wirkungsgrad bei jeder Technik darunter.
Wir selbst sagen ja manchmal, dass wir "heute wieder 100%" gegeben haben, meinen damit aber auch nur unsere persönliche Leistungsgrenze. Die Energiezufuhr die unser Körper dafür braucht, liegt um einiges höher als die Leistungsausbeute. Wir geben auch sinnlos Körperwärme an die Umgebung ab, unsere Gelenke laufen nicht reibungsfrei, unser Stoffwechsel arbeitet nicht rückstandslos etc.

Ich weiß jetzt nicht, wo mein persönlicher Wirkungsgrad liegt, aber für technische Komponenten gibt es da schon Zahlen. Ein PKW-Motor liegt so bei 30-40% (der fährt ja auch dauernd in Teillast, und hat einen Haufen Energieumlenkungsmechanik drin), ein Schiffsdiesel packt auch mal locker durchstampfende 50%. Ein Elektromotor schafft über 95% ... das ist doch mal ein Wert! Deshalb sind E-Mobile auch prinzipiell toll, wenn bloß die Batterien nicht wären.

Nun aber zum Kraftwerk. Der Kesselwirkungsgrad liegt bei 95%, die Turbine zwischen 85 und 95 %, der Generator ist auch bei >95% und der Maschinentrafo bei sagenhaften 99%. Selbst wenn man diese Werte miteinander multipliziert (so geht die Rechnung) landet man bei 80 % Gesamtwirkungsgrad.

So funktionierts also nicht. Man geht daher den Weg über die eingesetzte Energie im Verhältnis zum Output.
Wirkungsgrad ist dabei gleich Generatorleistung (Klemmenleistung, also das was hinten raus kommt) durch zugeführten Brennstoffmassenstrom mal Heizwert desselben.

Nehmen wir mal einen Steinkohleblock mit 500 MW Leistung. Wenn der jetzt 50 kg Kohle pro Sekunde dafür verfeuert, und der untere Heizwert der Kohle bei 25 Megajoule je Kilogramm liegt, sieht die Rechnung so aus:

500 MW = 500 000 kJ/s geteilt durch (50kg/s (Brennstoffmassenstrom) mal 25 000 kJ/kg (Heizwert))
ergibt 0,4 -> also 40% Wirkungsgrad.

Bei KWK läuft das aber anders. Dort errechnet man den Brennstoffnutzungsgrad. Und zwar wie folgt:

Elektrische Leistung plus abgeführte Wärme geteilt durch Brennstoffmassenstrom mal Heizwert.
Das Schöne an Wärme ist dabei, dass sie wesentlich verlustärmer herzustellen ist als Elektroenergie, weil weniger Energieumwandlungsschritte nötig sind. Und zur Belohnung darf sie auch noch über den Bruchstrich. Unfair ist das!

Wir nehmen jetzt unsere obere Anlage und schrumpfen sie elektrisch auf ein Zehntel. Also 50 MW nur noch. Dafür brauchen wir jetzt also nur noch 5 kg Kohle weil der Wirkungsgrad ja gleich bleibt. Wir wollen aber noch 150 MW thermisch auskoppeln, dafür braucht es auch wieder mehr Kohle, aber eben nicht die dreifache Menge oben drauf, sondern nur noch einmal 5 kg; also 10 kg gesamt (Faustformel: Für Strom brauchts dreimal mehr, als für bloße Wärme).

Selbe Rechnung, oben 50 MW elektrisch plus 150 MW themisch, unterm Bruchstrich 10 kg Kohle, Heizwert bleibt gleich.

Ergibt: 80% Nutzungsgrad ... Heureka!


So, und weil ich grad so schön im Fluss bin jetzt auch noch abschließend was zu unserem Ausgangskraftwerk. Man hat da ein paar Komponenten zusammengestrickt die einzeln nicht unbedingt der Bringer sind, aber gemeinsam einige Vorteile haben.

Die 2 Gasturbinen (GT) sind allein sehr schnell anzufahren. Das ist ihr Riesenvorteil. Der Brennstoff Gas ist sehr homogen, verbrennt quasi rückstandsfrei und ist überhaupt sehr leicht zu verfeuern (aber kostenintensiv!).
Der Nachteil bei GT's ist, dass ihr Verdichter schonmal zwei Drittel des eigenen Energieoutputs verbraucht. Auch sind sie nicht so robust wie z.B. ein Kohledampferzeuger. Sie müssen halt oft überholt werden. Zusätzlich haben sie noch einen hohen Abgasverlust, weil dieses Abgas ja noch ziemlich heiß ist, wenn es die GT verlässt.

Hier kommt der Abhitzekessel zum tragen. Der hat zwar selbst einen schlechten Kesselwirkungsgrad, weil er keinen Feuerraum hat und nicht auf so hohe Temperaturen kommt, aber er arbeitet ja quasi mit der eh anfallenden Abwärme der GT's.
Verpasst man ihm aber nun noch ein paar gasgefeuerte Stützbrenner, kann er sogar ohne GT-Betrieb Dampf erzeugen. Naja, und dieser Dampf wird halt als Prozesswärmestrom genutzt und treibt nebenher noch eine eigene Dampfturbine an. Wir haben hier also insgesamt drei Turbinen, drei Generatoren und einen Kessel zu einem Gesamtpaket zusammengefasst mit dem man sehr flexibel arbeiten kann.

Wo das passt ist es eine hervorragende Lösung - solange nur der Gaspreis im wirtschaftlichen  Rahmen bleibt.